Greifen und Begreifen – warum taktiles Spiel für Kinder so wichtig ist

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Artikelgrafik: Hand greift nach kleiner Blume

Die taktile Wahrnehmung – der Tastsinn – kommt mit der Geburt sofort zum Tragen. In kommunikativer Hinsicht machen Babys und Kleinkinder auf dieser Ebene erste Erfahrungen zeitlich betrachtet deutlich vor der sprachlichen Artikulation.

Nicht umsonst heißt es:

Die taktile Kommunikation ist die erste Sprache des Kindes

Für Säuglinge ist der Haut- und Körperkontakt immens wichtig, um sich geborgen zu fühlen und ein erstes interpersonelles Vertrauen (Urvertrauen) zu entwickeln. Halten, gefühlvolles Drücken, Streicheln und Liebkosungen helfen bei der so wichtigen Eltern-Kind-Bindung im frühen Leben.

Der Hautkontakt vermittelt den kleinen Kindern Sicherheit, er fördert gleichzeitig ihre Entwicklung, wenn sie berührt und gehalten werden. Dem Tastsinn kommt somit in der frühsten Lebensphase essentielle Bedeutung zu. Doch er spielt bei der Eroberung der Welt und der sensomotorischen Entwicklung ebenfalls eine zentrale Rolle.

Das neugierige Berühren hilft nämlich dabei, Dinge und Prozesse zu begreifen, daher ist das taktile Spiel im Baby- und Kleinkindalter so wichtig. Welche Vorteile es mit sich bringt, wie diese enorm wichtige Erfahrung gefördert werden kann und welche Probleme beobachtbar, das skizziert der folgenden Artikel.

Haut und Berührung

Die Haut stellt das größtes Sinnesorgan des Menschen dar. Sie besitzt unterschiedliche Rezeptoren wie Tastrezeptoren, Thermorezeptoren oder Schmerzrezeptoren. Diese verarbeiten und melden Temperatur, Schmerz, Druck oder Zug.

Etwa 50 solcher Rezeptoren befinden sich auf 100 Quadratmillimeter Haut. Zudem grenzt das Organ das menschliche „Innen“ vom „Außen“ ab. Folgende Funktionen der Haut sind essentiell:

  • Schutzfunktion
  • Regulierung Wärmhaushalt
  • Regulierung Stoffwechsel
  • Atmungsorgan
  • Sinneseindrücke
  • Abgrenzung
  • Kontakt

Was ist taktile Wahrnehmung genau?

Die taktile Wahrnehmung bezeichnet alle Empfindungen, die über die Haut aufgenommen werden – auch Schmerz und Druck gehören dazu. Der Tastsinn ermöglichen somit relevante und komplexe Eindrücke und Erfahrungen.

Diese Erfahrungen bilden eine entscheidende Basis, um als Individuum überleben zu können.

Dabei ist vor allem die Sensitivität und Sensibilität zu betonen, denn schon das Kribbeln eines einzigen Haares ist für Menschen fühl- und spürbar. Ebenso vermittelt das Organ Feedback über die Umgebungstemperatur.

Über die Haut nimmt der Nachwuchs eine Fülle von Informationen auf, die großen Einfluss auf seinen Zustand haben. Sie ermöglicht ihm überhaupt erst die lebensnotwendige Wahrnehmung von Berührungen, Druck, Temperaturunterschieden, Vibrationen und Spannungen.

Doch auch die kognitive Entwicklung und die Erkenntnis profitieren vom Ertasten: Mittels Fühlen, Berühren und Greifen erkennen die Kleinen Strukturen – sie lernen.

Druck und Informationsverarbeitung

Doch wie gestaltet sich dieser Vorgang konkret? Bei Wahrnehmungen des Tastsinns senden druckempfindliche Zellen Nervenimpulse aus, welche über das Rückenmark und das Nervensystem zum Gehirn gelangen.

Im Gehirn werden diese Reize und Signale verarbeitet, es entsteht ein Wahrnehmungserlebnis. Dieses Erlebnis vermittelt dem Menschen die Erkenntnis, woher die Empfindungen stammen. Er kann sich dadurch selbst identifizieren und von der Umwelt abgrenzen.

Ergo: Erkenntnis, Identität, Kontakt und auch Abgrenzung werden anteilig über den Tastsinn vermittelt.

Grafik: Hände von Eltern und Kind berühren sich
Berührung schafft Vertrauen, Sicherheit und eine emotionale Bindung

Überblick: die menschlichen Sinne

Natürlich stellt das Tasten nur einen Sinn dar, alle fünf Modalitäten spielen bekanntlich eine wichtige Rolle, wenn sich Menschen entwickeln und sich in ihrer Umwelt zurecht finden.

  1. Sehen (Augen)
  2. Hören (Ohren)
  3. Riechen (Nase)
  4. Schmecken (Zunge)
  5. Tasten/Fühlen (Haut)

Fast immer spielen die Sinne zusammen, wenn es darum geht, über einen Wahrnehmungsgegenstand alle relevanten Informationen zu generieren. So sieht Holz eben nicht nur wie Holz aus, es fasst sich speziell an und weist einen typischen Geruch auf.

Im Zusammenwirken generieren die menschlichen Sinne umfassende, multidimensionale und somit detaillierte Erfahrungen.

Spiele und Übungen zum Fördern des Tastsinns

Natürlich lässt sich die taktile Wahrnehmung spielerisch und ohne zu großen Druck verbessern. Die Förderung der Hände ist grundsätzlich für feinmotorische Prozesse von Bedeutung.

Beispiel: Man kann einen Kuli oder Stift nur dann „richtig“ halten oder differenzierte Schreibbewegungen erfolgreich umsetzen, wenn der Tastsinn voll funktionsfähig ist.

Es müssen dazu gar keine abwegigen oder künstlich anmutende Übungen absolviert werden, viele klassische Spielformen erfüllen ihren taktilen Zweck bereits extrem gut. Ein kurzer Überblick etablierte Ansätze, um den Tastsinn positiv anzuregen.

  1. Schneebälle formen und werfen
  2. Im Matsch Formen gestalten
  3. Schaummalerei mit Rasierschaum
  4. Barfuss über verschiedene Untergründe (Teppich, kitzelndes Gras, Gartenerde) laufen
  5. Seifenblasen pusten
  6. Spiel mit Knete und Teig
  7. Kinetischer Sand – Informationen zu diesem Ansatz finden sich auf dieser Seite
  8. Passend zum Thema dieser Site: Murmelbahnen aus Einzelteilen selbst erbauen
  9. Regen, Wind oder Sonne auf der Haut spüren
  10. Auf die Rinde eines Baumes fassen und diese sorgsam betasten
  11. Kurz den Arm in den Kühlschrank halten und die Kälte spüren, oft bekommt man eine Gänsehaut. Hinweis: Diese Übung bitte nicht gegen den Willen des Kindes ausführen

Video: Schaummalerei zur Förderung nutzen

Clip: Übungen mit Knete zur Verbesserung der Graphomotorik und Feinmotorik

Natürliche Spielmöglichkeiten für Kleinkinder nutzen

Zu erwähnen ist in diesem Kontext, dass ganz einfaches Spiel in der Natur schon sehr hilfreich ist. Schöne Burgen bauen mit Sand und Wasser, im Laub herumwühlen, Höhlen erobern oder einen Schneemann erschaffen – all das bringt die Kleinen weiter.

Daher gilt: Wenn es das Wetter zulässt, dann sollten Eltern mit ihren Kindern draußen spielen. Sehen, Riechen, Tasten und Kreieren, die Natur spricht alle wichtigen Sinne an.

Mit Tastkarten Oberflächen erkennen

Eine weitere sinnvolle Hilfe bieten Tastkarten, deren Verwendung ab dem 5. Lebensjahr empfohlen wird. Ziel der Karten ist, dass ein Kind viele verschiedene Stoffe und Strukturen ertasten und erkennen kann.

Das lässt sich im Alltag recht leicht umsetzen, man muss nur 10 bis 20 Kartonkarten oder größere Karteikarten besorgen und diese mit unterschiedlichen Materialien bekleben.

Beispiele:

  • Schleifpapier (sehr grob und sehr fein)
  • Plastikfolie
  • Alufolie
  • Fell
  • Nussschalen
  • Papiertaschentücher
  • Sand
  • Gras/Heu
  • Samt
  • Erde
  • Noppen

Anschließend werden die zu ertastenden „Fühlkarten“ auf einem Tisch platziert. Dem Kind werden die Augen verbunden. Es bekommt zunächst etwas Originalmaterial in die Hand und soll anschließend die zum Material passende Karte auf dem Tisch ertasten und erspüren.

Neben der nötigen Geduld fördert dieses Vorgehen die taktile Wahrnehmung verschiedener Stoffe.

Negative Folgen mangelnder Berührungserfahrungen

Was passiert eigentlich, wenn die oben genannten Erfahrungen ausbleiben oder nicht möglich sind? Schaut man auf die Auswirkungen von qualitativ schlechten oder reduzierten taktilen Erfahrungen, dann sind eine Menge potentieller Folgen zu bedenken.

Betroffenen Kindern mangelt es an essentiellen Körpererfahrungen. Ein Aspekt, der sich in Form eines ungenauen Selbstbildes und bisweilen ungeschickten Verhaltens manifestiert. Oft korreliert daher eine unzureichende Bewegungsfähigkeit der Körperglieder mit dem Defizit an Berührungserfahrungen.

Darüber hinausgehend können Probleme auftreten, den eigenen Körper im Raum sinnvoll zu verorten. Dieses mangelnde Körperbewusstsein und eine noch rudimentäre Körpervorstellung bereiten im Alltag immer wider Schwierigkeiten. Die Defizite belasten Jungen und Mädchen auch mental.

Eine sinnvolle und angemessene Interaktion mit der Umwelt, in der Erwartungen mit den Ergebnissen übereinstimmen, gestaltet sich schwierig. Betrachtet man die Stimmungsebene, dann wirken die Kleinen oft unzufrieden und abwehrend.

Taktile Abwehr – die Anzeichen verstehen

Kinder, welche aufgrund von negativen Erfahrungen des Berührtwerdens eine taktile Abwehr entwickelt haben, meiden oftmals neue Tasterfahrungen. Das ist ein einfacher Schutzmechanismus durch Vermeidungsverhalten.

Nicht selten zeigen sie Angst und Unruhe, wenn man sie berühren will. Weil sie sich von essentiellen Erfahrungen abwenden, treten in vielen Fällen Probleme bei folgenden Aktivitäten auf:

  • Ball fangen
  • Klettern
  • Schwimmen
  • Hüpfen
  • Seilspringen
  • Radfahren

In Expertenkreisen wird zudem diskutiert, ob taktil wahrnehmungsgestörte Kindern generell zu mehr Hyperaktivität neigen oder sich allgemein körperlicher unruhiger verhalten. Die Auswirkungen auf die Motorik scheinen deutlich beobachtbar zu sein, der Diskurs ist allerdings noch im Gange.

Fazit: spielerisch den Tastsinn wecken

Eine gesunde Entwicklung wird durch vielfältige Sinneswahrnehmungen und deren Verarbeitung positiv angeregt. Fühlen, Tasten und Berühren von diversen Strukturen sind nützliche Erlebnisse, welchen den Tastsinn fördern.

Und genau diese Sinneserlebnisse lassen sich leicht und ohne Druck spielerisch angehen. Besonders dann. wenn Eltern es schaffen, die passenden Spielwelten anzubieten und eben nicht einzuschränken.

Dabei wird natürlich nicht nur das Greifen und Be-greifen erlebt, das Sehen, Riechen und Verstehen tritt hinzu, sodass auch einfachste Erfahrungen dem Kind in seiner Entwicklung auf vielen Ebenen weiterhelfen.

Kind überquert gescheschickt eine wackelige Brücke
Je besser der Tastsinn, desto sicherer und selbstbewusster werden auch anspruchsvolle motorische Aufgaben gemeistert